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Auch Hunde brauchen eine Heimat

Neulich in der Supervision sprachen wir über das Thema Heimat. Wie wichtig es ist, eine Heimat zu haben und in sich zu tragen. Schon vor etlichen Jahren sang Grönemeyer von der verhökerten Seele und von der Sinnentleerung, wenn es keine innere Heimat mehr gibt.

 

Bevor es nun aber zu lyrisch wird: Ich bin mir sicher, so wichtig, wie es für Menschen ist, eine Heimat zu haben, so wichtig ist das auch für Hunde. Meine Freundin Hanna kam unlängst von einem Seminar und berichtete mir darüber, dass scheinbar angenommen wird, dass die Gehirne von Menschen und Hunden, da äußerlich ähnlich strukturiert, Gefühle und Erfahrungen annähernd analog verarbeiten. Hunde ordnen also soziale Zusammenhänge, so die Annahme, unter Umständen ganz ähnlich ein wie wir.

 

Egal ob die Grundvorraussetzung, Hund- und Menschengehirn sind gleich und arbeiten also gleich (schlicht ausgedrückt), nun stimmt oder nicht: Dass Hunde ähnliche soziale Bedürfnisse haben wie wir, das glaube ich schon sofort. Wer eine Hundegruppe führen kann, der kann in der Regel auch eine Menschengruppe führen. Ein Mensch, den man mit dem Rücken an die Wand stellt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit sich genauso Raum nach vorne verschaffen, wie ein in die Ecke gedrängter Hund. Wer zur Begrüßung wüste Schimpfwörter brüllend auf mich zu gerannt kommt, dem möchte ich auch eine reinhauen. Und wenn mich wildfremde Menschen zur Begrüßung sofort umarmten, mich an sich drückten und mich zu einem fröhlichen Spiel aufforderten, wäre ich wahrscheinlich ähnlich begeistert wie meine Riesenschnauzerhündin. Nicht!

Und was hat das nun mit Heimat zu tun?

Ich lebe im relativ dicht besiedelten städtischen Raum. Mir begegnen auf meinen täglichen Spaziergängen viele, viele Hunde mit ihren Besitzern. Oft wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin, oft aber auch zu Fuß. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es an dem Baseballschläger liegt, den Carotte -virtuell jedenfalls – immer bei sich trägt oder an Diggers intensivem Blick, aber jedenfalls gibt es viele Hunde, die geradezu ausrasten, wenn sie uns begegnen. Wenn sie nicht an der Leine sind, kommen sie auch gerne mal lautstark pöbelnd direkt in uns reingebrettert.

 

Meine Hunde finden die in uns reinrennenden Hunde eher so mittel. Im Schnitt gesehen. Denn während Carotte einfach jeden fremden Hund im Grunde überflüssig findet und das gerne auch ausleben würde, ist Digger eigentlich immer fröhlich und gut gelaunt zu jeder Kneipenschlägerei bereit. Kunststück. Er weiß seinen Riesenschnauzer an seiner Seite.

 

Meine Hunde wissen mittlerweile, was ich in diesem Fall von ihnen erwarte: Ins zweite Glied rücken und mir die Verhandlungen überlassen. Gerade Carotte ist allerdings ein Hund, der täglich immer wieder neu von mir überzeugt werden möchte, dass ich das immer noch ernst meine. Letztens musste ich, in Ermangelung besserer Mittel, meinen Schal vom Hals reißen, um mir einen ausgesprochen kampflustigen Yorkshire-Terrier vom Hals zu halten. Und obwohl der Schal natürlich ein Witz war, war Carotte nachhaltig beeindruckt. Der kleine Wüterich mit dem Napoleon-Komplex auch. Sein Herrchen allerdings, der eben noch seinem Hund ein vergebliches Nein, Neiin, Neiiin hinterher gerufen hatte, hatte nun offensichtlich den Eindruck, ich hätte den Verstand verloren und sprach beruhigend auf mich ein, während er gleichzeitig versuchte, sich so schnell wie möglich von mir zu entfernen.

Nein!: Ein inflationäres Wort

Genauso überflüssig, wie Schülern zu sagen, dass sie bitte aufhören sollen, die Klasse auseinander zu nehmen oder sich zu beschimpfen, ist es meiner Meinung nach, zu seinem Hund nein zu sagen, wenn man das Nein nicht durchsetzen kann oder möchte. Ich sage durchaus bitte, wenn ich denn eine tatsächlich eine Bitte an meine Schüler richte, aber eben wirklich auch nur dann. Und genauso sage ich zu meinen Hunden nur dann „nein“, wenn ich willens und in der Lage bin, dieses Nein auch durchzusetzen.

 

Es ist eigentlich immer dasselbe. Ich sehe von weitem schon Fifi und Frauchen oder Waldi und Herrchen auf mich zukommen und schon an der Art, wie die Leine kurzgenommen und – je nach Größe des Hundes – Waldi und Fifi noch schnell in eine Ecke gezogen werden, weiß ich, das wird wieder ein Nein-Konzert für alle Beteiligten. Und genauso ist es dann meistens. Nein, neiiiin, neiiiiiiiin, steigert sich meistens zu einem eher hilflos geschimpften „nein, habe ich gesagt“. Und dann, sobald ich mit meinen Hunden vorbei bin und Waldi und Fifi sich wieder eingekriegt haben und sich innerlich auf die Schulter klopfen, weil der Feind erfolgreich vertrieben wurde, bekommen sie in aller Regel noch einen Keks zugesteckt oder werden in jedem Fall überschwänglich dafür gefeiert, dass sie nun wieder ruhig sind – und den Feind vertrieben haben. So jedenfalls empfinden das die betreffenden Hunde wahrscheinlich.

 

Ich verstehe die Hilflosigkeit. Sie ist mir nicht fremd. Und ich verstehe auch den Wunsch erwachsener Menschen, Konflikte möglichst gewaltfrei zu lösen. Aber die Hunde verstehen uns nicht. Und all die kleinen, süßen Hunde, die im günstigen Fall einfach nur rumstänkern, im ungünstigen Fall aber um ihr Leben pöbeln, übernehmen dort Führung, wo Führung woanders hingehört. Wer immer nur ein Nein hört, ohne zu verstehen, welche Handlung damit eigentlich gewünscht wird, wird ziemlich im Regen stehen gelassen.

 

Ich glaube, das war im letzten Jahr mein wichtigster Erkenntnisgewinn: Dass ich dafür verantwortlich bin, meinen Hunden den Rahmen vorzugeben und ihnen eine innere Heimat zu geben. Und dass ich, wie Marios kluge Frau Claudia immer zu mir sagt, meine Hunde, insbesondere Carotte, jeden Tag wieder davon überzeugen muss, dass ich in der Lage bin, das auch durchzusetzen.

 

Die innere Heimat meiner Hunde ist das „Wissen“ um unsere gemeinsamen Werte und das Vertrauen auf meine Führung. Im Gegenzug gilt mein Versprechen, Unheil von ihnen abzuwenden und eben auch, Hundebegegnungen für sie zu regeln. Das würde insbesondere meine Riesenschnauzerhündin ganz gerne auch selber in die Hand nehmen und ganz sicher findet sie, dass sie das eigentlich auch besser kann als ich. Und in einer Welt, in der nur Hunde leben, würde das wohl auch stimmen. Nur, so ist es eben nicht. Ich habe die Hunde in meine Welt geholt und bin jetzt dafür verantwortlich, ihnen in meiner Welt eine Heimat zu geben und Regeln zu etablieren, die meine Hunde zwar nicht unbedingt verstehen, die sie aber eben trotzdem befolgen müssen, damit sie in meiner Welt zurecht kommen.

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