· 

Mütter

Ich bin in einer Familie von Frauen aufgewachsen. Mein Vater ist früh gestorben, mein Bruder vier Jahre älter als ich, als Kind meilenweit von mir entfernt. Davon abgesehen gab es meine Mutter, meine Schwester, die beste Freundin meiner Mutter, deren Tochter, die Cousine meiner Mutter, die Cousine meines Vaters, deren Mutter… eine Familie von Frauen.

 

Meine Mutter und Fröhli, ihre beste Freundin, waren beide Mitglieder im Verband für Alleinerziehende Mütter und Väter, VAMF. In den 70er Jahren eher ein Verband der Mütter als ein Verband der Väter. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dort jemals auch nur einen einzigen alleinerziehenden Vater zu Gesicht bekommen zu haben. Eine Gemeinschaft von Frauen.

 

Ich habe diese Gemeinschaft wirklich geliebt. Die Solidarität. Den Witz. Und diesen unverbrüchlichen Willen, es auch alleine zu schaffen.

 

Als ich schon erwachsen war und in Amerika gelebt habe, sind meine Mutter und ihre beste Freundin zu mir nach Seattle geflogen, um mit mir meinen Geburtstag zu feiern und mir ein paar Wochen Gesellschaft zu leisten in meinem Hausfrau- und Mutterdasein, in das ich mich nie so recht hatte einfinden können. Denn eines war klar: Meine Mutter, die auf ihre Art genauso freigeistig und ganz sicher ebenso aufrecht sozialdemokratisch war wie mein Vater, hat mich auf immer für ein Leben als Hausfrau verdorben.

 

Lesen war immer wichtiger.
Lesen war immer wichtiger.

Meine Mutter fand es entschieden wichtiger ein gutes oder vielleicht auch nur ein spannendes Buch zu Ende zu lesen, als die Wäsche zu waschen oder den Haushalt zu machen. Sie sagte nicht nur immer, sie wolle sich nicht von dreckigem Geschirr tyrannisieren lassen, sie lebte  das auch. Meine Mutter war zwar eine fantastische Köchin und eine außerordentlich gute Schneiderin, darüber hinaus aber stand der Haushalt nicht unbedingt auf ihrer Prioritätenliste.

 

Meine Mutter und Fröhli machten sich also auf, mich in der Neuen Welt zu besuchen. Mit KLM. Der einzigen Fluggesellschaft, die damals noch Raucherflüge anbot. Weil die beiden sich auch das Rauchen niemals einfach so hätten nehmen lassen wollen. Mitte der 90er Jahre gerade noch so machbar.

 

Die Wochen in Amerika mit den beiden gehören zu meinen schönsten Erinnerungen an meine Jahre dort. Meine Mutter und Fröhli sprachen zwar quasi kein Wort Englisch, waren aber trotzdem sofort bereit, mit mir und meinem kleinen Sohn einen Roadtrip entlang der Pazifikküste zu machen. Fröhli, die nicht Auto fahren und meine Mutter, die nicht Karten lesen konnte. Die aber dafür einen unerschöpflichen Fundus an Liedern, Geschichten und Spielen für meinen Sohn im Gepäck hatten. Und eine Solidarität und Fürsorglichkeit für mich, die ich damals so notwendig brauchte.

 

Nicht von ungefähr haben meine beiden Kinder ganz selbstverständlich nicht nur meine Mutter sondern auch Fröhli ein Leben lang als ihre Oma bezeichnet. So wie Fröhli für mich auch immer eine Mutter war, die mir ebenso unverbrüchlich zur Seite gestanden hat wie meine leibliche Mutter auch.

 

Es ist schön und tröstlich diese Verbindung zu den Frauen in meiner Familie zu haben. Eine Verbindung, die über meine Mutter hinaus auch zu meiner Oma führt. Eine Verbindung, die in meiner Schwester und mir weiter lebt und auf gewissen Art auch in allen meinen Freundinnen.

 

Meine Mutter ist nun schon sieben Jahre tot. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an sie denke und sie vermisse. In Liebe. In Dankbarkeit. Ohne sie wäre ich nicht der Mensch, der ich heute bin.

Hilde Meyer. 12.10.1934 – 20.6.2011
Hilde Meyer. 12.10.1934 – 20.6.2011

Kommentar schreiben

Kommentare: 0