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Der perfekte Familienhund...

… oder auch: Warum Hund von heute es nicht leicht mit uns hat.

Der Begriff „Familienhund“ scheint zu einer neuen Jobbezeichnung geworden zu sein. Gab es, als ich Kind war, noch den schlichten Haus- und Hofhund, so ist es heute der Famlienhund, der gefühlt auf aller Leute Wunschliste steht: Vater, Mutter, Kind, ein Häuschen im Grünen – und dann noch schnell einen Hund dazu, um diesen Familientraum perfekt zu machen. Jahrelang war diese Aufgabe Labradoren und Golden Retrievern vorbehalten, vermeintlich lieben und leicht erziehbaren Hunderassen mit einem guten Sozialverhalten. Heutzutage muss es nach Möglichkeit eine ausgefallene Rasse sein, man will sich ja absetzen von der breiten Masse.

 

So haben in den letzten Jahren Herdenschutzhunde, Jagdhunde, Sporthunde, Hütehunde und andere sehr spezialisierte Gebrauchshunderassen ihren Weg in die deutsche Familie gefunden. Vor ein paar Jahren zum Beispiel wurde mir auf einem Spaziergang stolz ein türkischer Kangalwelpe präsentiert, der schon ach so niedlich mit einem Yorkshireterrier aus der Nachbarschaft gespielt habe. Der überhaupt – der Kangal also – eine so verkannte Hunderasse, in Wirklichkeit nämlich ein einfach fantastischer Familienhund sei und sich selbstverständlich auch hier, in unserer großstädtischen Nachbarschaft hervorragend einleben würde.

 

Eben dieser Kangal begegnete mir keine 6 Monate später schon nur noch mit Stachelwürger auf der Straße, weil er, so seine Besitzer, anders nicht mehr zu führen und vor allem, nicht mehr zu halten war. Mittlerweile begegnet er mir gar nicht mehr. Er lebt auch nicht mehr bei seiner Familie im Haus, weil der eben noch so niedliche Kangal mittlerweile die Freunde der Kinder und die Freunde der Eltern zwar eventuell noch ins Haus gelassen hat, sie dann aber in aller Entschlossenheit gegen die Wand stellte und sie dort auch nicht mehr wegließ. Wie die Geschichte weitergeht, weiß ich leider nicht. Inszwischen ist die Familie mit dem Hund aufs Land gezogen.

 

Ähnliches beobachtete ich mit dem American Akita in der Nachbarschaft, der als Welpe so niedlich hinter seinen Leuten hertapste und von den Kindern der Familie durch das Viertel geführt wurde. Das ging so lange gut, bis der niedliche Welpe eine Schulterhöhe von über 60 cm und ein dazu passendes stattliches Gewicht zugelegt hatte. Da begegnete ich ihm eines Tages beim Fahrradfahren mit der Tochter der Familie, die ihn gerade ausführte. Der Akita hatte, nicht überraschend, eine gänzlich andere Meinung darüber, ob Hunde einfach so durch sein Revier (das sich selbstredend auf das ganze Stadtviertel ausdehnt, nicht einfach nur seine Nachbarschaft) rennen dürfen oder nicht. Er riss seiner kleinen Freundin also kurzentschlossen die Leine aus der Hand und machte sich daran, uns ein für allemal zu vertreiben. Mitten in der Großstadt, mitten im Verkehr, mitten auf der Straße. Ich für meinen Teil kann sagen, dass ich selten mit meinen Hunden so einen Zahn zugelegt habe – zu meinem Glück ist besagter Akita sehr majestätisch, seine Verfolgung war entsprechend langsam und würdevoll, trotzdem aber sehr beeindruckend. Mittlerweile wird der Hund zwar nicht mehr von den Kindern ausgeführt, dafür aber von Mutti, gefühlte 1,60 groß und mit Sicherheit weniger wiegend als ihr Hund. Ich mache einen respektvollen Bogen, wenn ich den beiden begegne.

 

Das Problem sind natürlich nicht die Hunde. Und das Problem sind eigentlich auch nicht die Menschen. Das Problem sind die falschen Vorstellungen, die Menschen haben, wenn sie sich einen Hund in die Familie holen. Vieles könnte so viel einfacher sein, wenn die Leute aufhören würden, in Bildern zu denken. Und wenn Menschen den Hund als das sehen könnten, was er ist, ein Tier, ein Beutegreifer, jahrzehnte- oder jahrhundertelang dafür gezüchtet, zum Teil hochspezialisierten Aufgaben nachzugehen, könnten viele Missverständnisse vermieden werden.

 

In den letzten 100 Jahren sind unsere Anforderungen an den „Familienhund“ immer mehr gewachsen. Wir wollen einen Hund haben, der uns entspannt durch das Leben begleitet, der freundlich und gehorsam ist und sich in unserer zivilisierten Welt zurecht findet. Unsere Hunde sollen sich so verhalten, dass wir möglichst nicht auffallen, sich mit allem und jedem verstehen und am liebsten auch ohne Leine immer an unserer Seite bleiben.

 

Diese Träume hatte ich auch. Ich hatte die Vorstellung, dass ich mit meinem Riesenschnauzer an meiner Seite, die Leine lässig um den Hals, durch die Bremer Innenstadt flanieren wollte, der Hund auf der einen Seite freundlich zu jedermann auf der anderen Seite aber natürlich stets wachsam an meiner Seite, auch meinen kleinsten Winken jederzeit gehorchend. So ungefähr. Ich hätte eventuell Abstriche beim Gehorsam gemacht, aber in jedem Fall sollte doch der Besuch im Hundepark drin sein, in welchem ich dann mit anderen Hundebesitzern plaudernd in Gruppen beieinander stehen und uns über unsere artig spielenden Hunde freuen wollte.

 

Und mit meinen vorherigen Hunden hat das auch ganz wundervoll geklappt. Bis eben besagter Riesenschnauzer in mein Leben trat. Dass das nicht unbedingt der Hund ist, der für einen Besuch im Hundepark oder in Bremens Innenstadt geeignet ist, hätte ich auch selber herausfinden können, wenn ich mich mit der Rasse im Vorfeld mal ernsthaft beschäftigt hätte – ohne rosarote Brille und Herzchen in den Augen. Aber ich wollte eben unbedingt einen Riesenschnauzer haben und ich wollte genauso unbedingt glauben, dass ich mehr oder weniger einen Zwergschnauzer in groß kriegen würde. Was natürlich ein Irrtum war.

 

Mittlerweile habe ich noch einen weiteren Gebrauchshund bei mir zu Hause, obwohl ich immer noch in der Stadt wohne. Vor dem Border Collie haben mich viele wohlmeinenden Menschen im Vorfeld gewarnt. Ich hatte fast so ein bisschen das Gefühl, ich müsste mir mindestens zwei Laufenten auf die Dachterrasse stellen und am besten gleich dazu schon mal eine Mitgliedschaft im Agilityclub abschließen, um dem Border Collie auch nur annährend gerecht werden zu können. Tatsächlich aber ist Digger auch ohne Hüten und Sport, ein wirklich toller, in sich ruhender und sehr charmanter Hund geworden. Mit ihm hatte ich in vielerlei Hinsicht Glück.

 

Aber ich bin mir auch der Verantwortung bewusst, die ich habe, wenn ich zwei so ausgesprochene Spezialisten wie einen Riesenschnauzer und einen Border Collie in die Familie hole. Ich erwarte von meinem Riesenschnauzer nicht, dass er jeden Fremden freundlich an der Tür empfängt und ihn zu seinem Sessel geleitet, er muss sich nicht von jedem anfassen lassen und auf der Hundewiese nicht anderer Leute Hunde bespaßen. Das erwarte ich von meinem Border Collie allerdings auch nicht. Er kann nichts für seine Rassemerkmale, ich glaube, es ist ihm schlicht nicht möglich, andere Hunde aus der Ferne nicht zu fixieren – und eine Horde „spielender“ Hunde auf einer Wiese lassen einfach seine Hütehundnerven durchbrennen. Das erspare ich ihm also.

 

Ich habe mich in meinem Leben ein Stück weit also meinen Hunden angepasst. Sie können ja nichts dafür, dass ich sie mir ausgesucht habe. Und für meine rosarote Brille und meine Herzchen in den Augen können sie auch nichts. Mein nächster Hund wird vielleicht ein Chihuahua oder ein Malteser oder sonst irgendeine ausgesprochene Schoßhundrasse. Oder ein alter Hund aus einer Nothilfe oder dem Tierheim. Ein Hund jedenfalls, der dann keine stundenlange Spaziergänge oder Touren am Fahrrad von mir einfordert. Da ich mit Digger und Carotte aber verabredet habe, dass beide mindestens 15 Jahre alt werden, kann das aber noch eine ganze Weile dauern.

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